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Götterdämmerung oder: die Kritik der „Meisterdenker“

Alexander von Pechmann

Im Rückblick müssen wir konstatieren, dass die Tradition der Linken, die wir bislang skizziert haben, seit dem Ende des letzten Jahrhunderts an ihr Ende gekommen ist. Für dieses Ende lassen sich zweifellos viele Ursachen anführen: die Erfahrungen des Scheiterns des gesetzten Ziels einer solidarischen Gesellschaft der Freien und Gleichen, Fehleinschätzungen der tatsächlichen geschichtlichen Entwicklungen etc.

Wesentlich für den Verlust der inneren Überzeugung, die die linke Politik bislang motiviert und orientiert hatte, erscheinen mir allerdings grundlegende philosophische Argumente, die spätestens seit den 80er Jahren gegen die Grundlagen der traditionellen Linken als Kritik an den sogenannten „Meisterdenkern“ formuliert wurden. Diese vorgebrachten Argumente möchte ich als eine durchaus wohl begründete, aber dennoch lähmende Form linker Selbstkritik verstehen.

Um diese Einwände nachzuvollziehen, blicken wir noch mal zurück: In meiner Darstellung waren es vor allem drei Instanzen, die das politische Handeln der Linken legitimiert, motiviert und orientiert hatten. Diese waren erstens die, wie auch immer gefasste, Natur des Menschen, die durch das politische Handeln, durch die grundlegende Veränderung der widernatürlichen Verhältnisse der Entfremdung, Ausbeutung und Unterdrückung, wieder in ihr Recht eingesetzt werden sollte. Zweitens war es der Verlauf der Geschichte im Marxschen Sinne, dem gemäß der auf dem Privateigentum gegründete Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche sich in die höhere, auf dem Gemeineigentum beruhende Gesellschaftsform des Sozialismus bzw. Kommunismus umwandeln werde. Und drittens war es die praktisch-moralische Vernunft, die den politischen Kampf für eine solidarische Gesellschaft der Freien und Gleichen zu einer ethisch-moralischen Aufgabe gemacht hatte. Daher konnten Materialisten und Pantheisten, Geschichtsphilosophen und -theologen sowie Idealisten verschiedenster Couleur, bei allen grundlegend theoretischen Unterschieden, im gemeinsamen Ziel einer wahrhaft humanen, höheren und bewusst gestalteten Ordnung der Gesellschaft zusammenfinden.

Mit der Dekonstruktion solcher Meta-Erzählungen von der Natur, der Geschichte oder der Vernunft durch die sog. „Postmoderne“ wurden diese bisher gültigen Instanzen der Legitimation, der Motivation und der Orientierung linker Politik jedoch zerschlagen. Ihnen wurde gleichsam der Boden entzogen, auf dem sie beruht hatten. So hat der aufkommende Antiessentialismus – mit guten Gründen – den tragenden Gedanken einer irgendwie ursprünglichen wahren Natur des Menschen, die wiederhergestellt werden müsse, zersetzt; die sogenannte Archäologie des Wissens hat folgenreich die Idee von der einen Geschichte und ihrer inneren Gesetzmäßigkeit, als deren „Vollzugsorgan“ die Linke sich doch verstanden hatte, in ihre vielen Bestandteile zerlegt; und schließlich entlarvte die Kritik an der Vernunft mit ihren Postulaten den Vernunftdiskurs der Linken von innen her als bloßen Ausdruck eines „Willens zur Macht“.

Die postmodernen Denker wie Lyotard, Foucault oder Derrida, so möchte ich das verstehen, brachten in den 80er Jahren das Schwinden der Überzeugungskraft der linken Bewegung im Westen wie im Osten gleichsam auf den Begriff. Nunmehr waren die bisherigen "Meisterdenker" der Linken wie Rousseau, Kant, Hegel oder Marx keine Bezugsgrößen mehr, die das Reich der Freiheit und Gleichheit ausbuchstabiert hatten, und auf die die Linke sich zwei Jahrhunderte gestützt hatte.


 
 
 

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