Der „Wohlfahrtsstaat“
Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat dann die sozialdemokratische Linke aus diesem Widerspruch in der Eigentumsfrage die Konsequenz gezogen. Nun sollte es ausdrücklich nicht mehr das Ziel sein, die Produktionsmittel zu vergesellschaften, sondern den so genannten „Wohlfahrtsstaat“ auf- und auszubauen. Die Leitvorstellungen linker Politik, Freiheit, Gleichheit und Solidarität könne, so der für die Linke damals ‚revolutionäre’ Gedanke, auch ohne prinzipielle Eingriffe in die bestehenden kapitalistischen Eigentumsverhältnisse allein durch parlamentarische Mehrheiten realisiert werden. Auf der Grundlage solcher politischer Mehrheiten lasse sich die private Verfügungsmacht über den materiellen Reichtum sowohl durch die stetige Ausweitung sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Garantien als auch durch den Ausbau des wirtschaftspolitischen Einfluss des Staates so weit begrenzen und reglementieren, dass die Prioritäten einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie es hieß, auch gegen das Privateigentum gesetzt und die Verteilungsverhältnisse zugunsten der Unterschichten verändert werden können.
Diese neue Sozialdemokratie war damals, seit dem "Godesberger Programm" von 1959, der festen Überzeugung, dass man mittlerweile über ein geeignetes wirtschafts- und sozialpolitisches Instrumentarium verfüge, sodass der Kapitalismus nicht mehr überwunden werden müsse, sondern krisenfrei gestaltet werden könne, dass durch bildungspolitische Maßnahmen die Gleichheit der Chancen für alle hergestellt und durch sozialpolitische Maßnahmen der Umverteilung die Wohlfahrt für alle erreicht werden könne.
Um diese erstrebte Wohlfahrt aller zu erreichen, müsse, so die Formel, soviel ökonomischer Wettbewerb wie möglich und soviel politische Planung wie nötig sein. In diesem Sinne sollte, so die Erwartung, das vergangene Jahrhundert zum sozialdemokratischen Jahrhundert werden. Mit dieser programmatischen Neuorientierung aber trat die Eigentumsfrage nun gänzlich in den Hintergrund. Sie wurde ersetzt durch eine Theorie gesamtgesellschaftlicher Planung sowie den Kampf um die parlamentarische gesetzgebende Mehrheit.
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