Das neue Paradigma: Erhaltung der menschlichen Gattung
Wenn man von diesem neuen, naturzentrierten Paradigma ausgeht, nach dem der Mensch Teil der Natur ist, dann verschieben sich notgedrungen auch alle Parameter des politischen Handelns. Denn – und das ist wohl der anstößigste Punkt – der Imperativ der Linken, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, wie ihn der junge Karl Marx formuliert hat, um ein künftiges Reich der Freiheit und der Gleichheit aller zu errichten – dieser Imperativ kann nicht mehr kategorisch gelten, wie Marx dies annahm. Denn da ein solches politisch-strategisches Handeln heute zugleich all die naturgegebenen Bedingungen berücksichtigen muss, unter denen ein solches Reich der gleichen Freiheit für alle überhaupt möglich ist, hat dieser Imperativ notwendig Voraussetzungen und ist folglich nicht unbedingt. Vielmehr muss das politische Handeln heute, im Zeitalter des „Anthropozäns“, darauf gerichtet sein, diejenigen Institutionen zu schaffen, in deren Rahmen auch die kommenden Generationen als ein integraler Teil des natürlichen Erdsystems gut zu leben vermögen. Diese Zielsetzung des politischen Handelns hat man die Erhaltung der „Bewohnbarkeit des Planeten“ genannt.
Wenn dem so ist, wenn also der Mensch sich tatsächlich als Teil der Natur begreifen muss, dann kann alle bisherige menschenzentrierte Praxis heutzutage nur mehr als ein allmählicher und schleichender Selbstmord der menschlichen Gattung und in ethisch-politischer Hinsicht als ein schlicht verantwortungsloses Tun verstanden werden.
Nun lässt sich gegen diese Einsicht freilich einwenden, dass ein solcher Abschied vom alten Paradigma der Emanzipation und die Übernahme des neuen Paradigmas von der Erhaltung der menschlichen Gattung nichts mit linker Politik zu tun hat, da ein solches Bewahren im Gegenteil ein zutiefst konservatives und damit doch auch rechtes Ansinnen sei. Aber dieser Einwand trifft nicht. Denn „konservativ“ im politischen Sinne heißt, die sozialen Verhältnisse vor ihrer Veränderung zu bewahren; um hingegen nach dem neuen Paradigma die natürlichen Lebensgrundlagen der kommenden Generationen zu bewahren, müssen die sozialen Verhältnisse grundlegend verändert werden. Ein solches Handeln aber ist nicht konservativ, sondern vorausschauend progressiv.
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