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Alexander von Pechmann

Die Selbstentmächtigung der Linken

Seit diesem Erwachen aus ihren „metaphysischen Träumen“ hat sich die Linke als politische Kraft um die Jahrhundertwende erneut in drei Richtungen geteilt. In ihnen spielt freilich die vormals dominante politische Frage nach der Eigentumsordnung nur mehr eine marginale Rolle.

Die eine Richtung knüpft weiter an die Tradition der Arbeiterbewegung an. Aber ihr fehlt die vormalige Vision einer anderen künftigen Ordnung der Gesellschaft; sie versteht sich in erster Linie als die Interessenvertreterin und als das politische Sprachrohr der (tatsächlich so genannten) „kleinen Leute“. Sie kämpft innerhalb der bestehenden kapitalistischen Eigentumsordnung um größere Freiheitsräume, um mehr Gleichheit der Chancen und um mehr gesellschaftliche Solidarität. Sie hat sich im globalen Kapitalismus quasi als dessen „Betriebsrat“ eingerichtet.

Die zweite Richtung hat das Paradigma der wechselseitigen Anerkennung der Freien und Gleichen erneuert. Sie versteht ihre politische Praxis als einen fortwährenden Kampf der moralischen Gesinnung gegen all die verschiedenen Formen der kulturellen, sexuellen, ethnischen, rassischen und sozialen Diskriminierungen, die das bestehende kapitalistische Gesellschaftssystem tagtäglich hervorbringt – ohne die klare Vorstellung von einer künftigen anderen Gesellschaftsordnung, für die es zu kämpfen sich lohnte.

Und die dritte Richtung schließlich kämpft – abseits des kapitalistischen Weltmarktes – für und um Räume und Nischen einer befreiten, egalitären und solidarischen Arbeits- und Lebensweise.

So groß und zweifellos selbstlos das jeweilige Engagement und der Einsatz der Aktivisten auch ist – was der linken Bewegung gegenwärtig jedoch unbestreitbar fehlt, ist eine politische Vision oder eine überzeugende Erzählung, die all die Aktivitäten auf ein gemeinsames Ziel hin zu bündeln vermag. Das vormals strategisch-politische Handeln am Leitbild einer künftigen solidarischen Gesellschaft der Freien und Gleichen auf der Basis eines gemeinschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln ist, wie gesagt, zersetzt und weitgehend ersetzt worden durch die Elemente der unmittelbar moralischen Empörung, des Protestes und der Kritik. Diese vermögen zwar, angesichts der Zustände, jederzeit zum Handeln zu motivieren; aber sie schrecken zugleich – mit guten Gründen – zurück vor dem theoretischen Element der Orientierung des politischen Handelns an einem allgemeinen und gemeinsames Ziel.

Auf die Frage: „Was ist Links?“ kommen daher heute so viele Antworten, wie es Sprecher gibt. Der Linken fehlt, so möchte ich diesen Mangel zusammenfassen, das vormalige Bewusstsein von der Eigentumsfrage als dem konstitutiven Element des Politischen. Es scheint, als habe die Linke sich als politische Bewegung dadurch selbst entmächtigt, sich innerhalb der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse eingerichtet und sei zu einem, allemal kritischen und zuweilen auch innovativen, Korrektiv des bestehenden Systems geworden.


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